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Dienstag, den 15. Juli 2014 um 14:20 Uhr

Internationale Fußballspiele in Höhenlagen – sind Top-Spieler aus dem Flachland benachteiligt?

Sind Fußballspieler benachteiligt oder sogar gefährdet, wenn sie in Höhenlagen von über 3.000 Metern an internationalen Spielen teilnehmen? Am Institut für Sportwissenschaft der Universität Bayreuth befassen sich Prof. Dr. Walter Schmidt, der hier die Abteilung Sportmedizin / Sportphysiologie leitet, und seine Mitarbeiterin Dipl.-Sportök. Nadine Wachsmuth mit dieser Thematik. Ein Forschungsprojekt hat ergeben: Die oft praktizierte ‚fly in – fly out‘-Strategie ist aus leistungsphysiologischer Sicht nicht zu empfehlen.

Viele Fußballspieler, die südamerikanischen Fußball-Nationalmannschaften angehören, stehen bei europäischen Vereinen unter Vertrag – darauf hat die Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien erneut aufmerksam gemacht. Diese Spieler sind es oftmals nicht gewohnt, Spitzenleistungen in Höhenlagen zu erbringen, wie sie für einige Andenstaaten typisch sind. So liegt beispielsweise die bolivianische Hauptstadt La Paz rund 3.600 m über dem Meeresspiegel, die kolumbianische Hauptstadt Bogotá in rund 2.600 m Höhe. Für La Paz hat sich mittlerweile die sogenannte ‚fly in – fly out‘-Strategie durchgesetzt: Auswärtige Mannschaften fliegen unmittelbar vor dem Spiel ein und verlassen danach gleich wieder die Stadt. Diese Praxis beruht auf der Annahme, es gebe unmittelbar nach der Ankunft in der Höhenlage ein ‚physiologisches Fenster‘, also einen kurzen Zeitraum, innerhalb dessen die Leistung noch nicht wesentlich abfällt.

In internationalen Sportverbänden wird schon seit langem darüber diskutiert, inwiefern manche Spieler benachteiligt oder sogar gefährdet sind, wenn sie beispielsweise bei der „Copa América“, der südamerikanischen Fußballmeisterschaft, oder bei WM-Qualifikationsspielen auf Mannschaften treffen, die an Höhenlagen bereits akklimatisiert sind. Der Fußball-Weltverband FIFA entschied im Jahr 2007, dass Fußballspiele nicht in einer Höhe über 3.000 m stattfinden dürfen, und revidierte damit eine frühere Entscheidung, die die zulässige Höchstgrenze bei 2.500 m angesetzt hatte. Südamerikanische Fußballverbände intervenierten jedoch gegen diese Maßgabe, und so wurde 2008 von der FIFA beschlossen, dass sie erst dann umgesetzt werden solle, wenn genügend wissenschaftliche Daten über die Leistungsentwicklung und eine mögliche Gesundheitsgefährdung in diesen Höhen vorliegen. Dies ist aber bis heute nicht der Fall.

Vergleichende Untersuchungen an Fußballteams aus Bolivien und Australien

An der Universität Bayreuth befassen sich Prof. Dr. Walter Schmidt, der die Abteilung Sportmedizin / Sportphysiologie im Institut für Sportwissenschaft leitet, und seine Mitarbeiterin Dipl.-Sportök. Nadine Wachsmuth schon seit längerem mit dieser Thematik. Forschungsergebnisse, die gemeinsam mit internationalen Partnern erzielt wurden, sind mittlerweile in internationalen Fachzeitschriften publiziert.

In einer speziell auf den Fußball bezogenen Fallstudie mit australischen Partnern ging es um einen Vergleich zwischen Juniorenspielern eines traditionsreichen bolivianischen Fußballvereins und den Mitgliedern der australischen U-17-Nationalmannschaft. Beide Mannschaften trafen zunächst in zwei Fußballspielen aufeinander, die in der bolivianischen Stadt Santa Cruz in 420 m Höhe stattfanden. Dann folgten, während eines Zeitraums von zwei Wochen, drei Begegnungen in La Paz. Bei allen Spielen und Trainingseinheiten zeichnete ein GPS-System die Laufwege und Laufgeschwindigkeiten der Spieler auf, die so gewonnenen Daten wurden mit der zeitgleich registrierten Herzfrequenz in Beziehung gesetzt. Kontinuierliche Messungen registrierten die Blutbildung. Hinzu kamen Fragebögen, in denen die Spieler wiederholt Auskunft über ihr subjektives Empfinden gaben.

Die Ergebnisse waren eindeutig: Während der ‚Flachlandphase‘ zeigten sich beide Mannschaften gleich stark. Doch unmittelbar nach der Ankunft in der bolivianischen Hauptstadt auf einer Höhe von 3.600 m, gleich während des ersten Fußballspiels, brach die Leistungsfähigkeit der australischen Mannschaft ein. Die Leistungsminderungen waren bei ihnen wesentlich stärker ausgeprägt als bei den bolivianischen Spielern, die zwar ebenfalls, aber längst nicht in gleichem Umfang mit Anpassungsschwierigkeiten zu kämpfen hatten. „Die ‚fly in – fly out‘-Strategie kann somit vom leistungsphysiologischen Standpunkt nicht empfohlen werden“, erklärt daher Prof. Schmidt.

Besonders auffällig waren Anomalien im Schlafverhalten, die mit Elektroden und Bewegungsanalysatoren aufgezeichnet wurden. Bei der Hälfte der australischen Spieler wurde eine so genannte Cheyne-Stokes-Atmung beobachtet: ein ständiger Wechsel zwischen Atemunterdrückung, Atemnot und tiefen Atemzügen, der tagsüber starke Erschöpfungserscheinungen verursacht.

Unterschiedliche Akklimatisierungsprozesse

Während der zwei Wochen in La Paz blieben deutliche Unterschiede zwischen den Teams bestehen, trotz der allmählich einsetzenden Akklimatisation. Einige physiologische Funktionen – insbesondere die Atmung sowie die Sauerstoffsättigung des Hämoglobins im Blut – veränderten sich bei den australischen Spielern in der Weise, dass sie durch die Höhenlage weniger stark beeinträchtigt wurden. Und schon nach zwei Tagen waren keine höhenspezifischen Krankheitszeichen mehr zu erkennen. Gleichwohl führten diese Anpassungsprozesse insgesamt nicht zu einer völligen Wiederherstellung der ursprünglichen Leistungsfähigkeit. Unterschiede zu den bolivianischen Spielern, die sich nach kurzer Zeit regenerieren konnten und in der Höhenlage ihr gewohntes Leistungsniveau zeigten, blieben bestehen.

Handlungsempfehlungen für internationale Fußballverbände

Welche Empfehlungen lassen sich daraus für den Fußballsport ableiten? „Es ist eine schwierige Abwägung, ob die FIFA oder andere Fußballverbände eine Höhengrenze für internationale Fußballturniere definieren und einem Land wie Bolivien dadurch die Chance nehmen sollten, Gastgeber für solche Veranstaltungen zu sein“, meint Prof. Schmidt. „Einerseits sind Nachteile für Spieler, die Fußballturniere in Höhenlagen nicht gewohnt sind, unbestreitbar; andererseits haben wir kein generelles Risiko für ernsthafte Erkrankungen nachweisen können.“

Der Bayreuther Sportmediziner betont, dass die Höhenlage eines Austragungsorts keineswegs der einzige Faktor ist, der Fußballspieler aus Ländern mit anderen klimatischen Bedingungen einseitig benachteiligt. „Es gibt andere Umweltfaktoren, die für die Gesundheit der Spieler wesentlich riskanter sind als die Höhenexposition – beispielsweise große Hitze mit Schattentemperaturen von über 40 Grad Celsius, wie sie 2022 bei der Fußballweltmeisterschaft in Qatar zu erwarten sind. Wenn die FIFA in ihren Regularien gesundheitliche Risiken ausschließen will, die durch klimatische Gegebenheiten an den Austragungsorten bedingt sind, sollte sie konsequenterweise auch solche risikoreicheren Faktoren berücksichtigen“, so Prof. Schmidt.


Den Artikel finden Sie unter:

http://www.uni-bayreuth.de/pressemitteilungen-html/138-Fussball-Hoehenlagen/index.html

Quelle: Universität Bayreuth (07/2014)


Publikation:
Nadine Wachsmuth et al.,
Changes in blood gas transport of altitude native soccer players near sea-level and sea-level native soccer players at altitude (ISA3600)
British Journal of Sports Medicine 47:i93–i99. DOI: 10.1136/bjsports-203-092761, 2013

Christopher J Gore et al.,
Methods of the international study on soccer at altitude 3600 m (ISA3600),
British Journal of Sports Medicine 47:i80–i85.
DOI: 10.1136/bjsports-2013-092770, 2013

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