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Montag, den 21. Oktober 2013 um 07:52 Uhr

Frustriert gegen den elektrischen Widerstand

Die Vision vieler Physiker ist ein Material, das Strom bei Raumtemperatur ohne Verluste leitet. Um sie zu verwirklichen, müssen Forscher jedoch erst verstehen, warum Hochtemperatur-Supraleiter ihren Widerstand verlieren. Verglichen mit herkömmlichen Supraleitern leiten diese Materialien bei deutlich höheren Temperaturen verlustfrei Strom, allerdings immer noch weit unter Null Grad Celsius. Physiker des Max-Planck-Instituts für chemische Physik fester Stoffe in Dresden weisen nun die Richtung zu einer neuen Erklärung für dieses elektronische Verhalten. Wie viele Physiker setzen sie bei den magnetischen Eigenschaften von Hochtemperatur-Supraleitern an, weil deren magnetischen Anregungs-Spektren alle das gleiche, auffällige Erscheinungsbild zeigen. Die Dresdner Forscher liefern nun Belege gegen zwei bisher favorisierte Erklärungs-Ansätze für das universelle Spektrum, das vermutlich mit der Hochtemperatur-Supraleitung zusammenhängt. Zudem präsentieren sie einen alternativen Mechanismus, der auf Frustrationen in der Spin-Ordnung beruht.

Seit ihrer Entdeckung in den 1980er-Jahren geben Hochtemperatur-Supraleiter der Wissenschaft Rätsel auf. Die Materialien heißen so, weil sie bei weitem nicht so stark abgekühlt werden müssen, bis sie ihren elektrischen Widerstand verlieren, wie herkömmliche Supraleiter und daher mit flüssigem Stickstoff statt flüssigem Helium gekühlt werden können. So wird etwa eine so genannte Kuprat-Keramik bei einer relativ hohen Temperatur von rund minus 135 Grad Celsius supraleitend. Die Gründe dafür zu verstehen, würde die Aussicht enorm erhöhen, gezielt einen Raumtemperatur-Supraleiter zu entwickeln.

Für die Suche nach dem zugrunde liegenden Mechanismus ist die Neutronenspektroskopie wichtig, bei der man Materialproben im Reaktor mit Neutronen beschießt und die Wechselwirkung von Neutronen und Elektronen analysiert. Die Neutronenspektroskopie gibt Aufschluss über die magnetischen Eigenschaften eines Materials, die von der Ordnung der Elektronenspins bestimmt werden. Der Spin ist eine quantenmechanische Eigenschaft der Elektronen, die man sich in diesem Zusammenhang wie winzige Kompassnadeln vorstellen kann. Je nachdem, wie benachbarte Spins relativ zueinander angeordnet sind – parallel oder antiparallel – besitzt das System einen unterschiedlichen Energieinhalt. Mit der Neutronenspektroskopie lässt sich ein Spektrum der magnetischen Anregungen solcher Spin-Strukturen aufzeichnen.
Warum ähnelt das Spektrum magnetischer Anregungen einem Stundenglas?

Hochtemperatur-Supraleiter zeigen ein gemeinsames Muster dieser magnetischen Anregungen: das „hourglass-Spektrum“. Seinen Namen trägt das Spektrum, weil es einem Stundenglas ähnelt. Da es eine universelle Eigenschaft aller Hochtemperatur-Supraleiter darstellt, sind Forscher überzeugt, dass es für das Verständnis dieser Form von Supraleitung von großer Bedeutung ist. Daher versuchen Forscher weltweit dieses hourglass-Spektrum zu verstehen.

Vor allem zwei Erklärungen ziehen sie für dieses Phänomen bisher heran. Diese Ansätze beruhen jeweils aus umfassenden Beschreibungen des elektronischen und magnetischen Verhaltens der Materialien, die auch als Grundlage für die Erklärung der Hochtemperatur-Supraleitung dienen können. Allerdings haben Theoretiker diese Zusammenhänge bisher noch nicht zweifelsfrei formulieren können. Einer der Erklärungsansätze für die hourglass-Spektren beruht auf einem Modell der Materialien, in dem Fermiflächen eine wichtige Rolle spielen: Das sind die Elektronenwellen mit der höchsten Energie, die sich durch ein Metall ausbreiten. Die andere Erklärung des Spektrums geht von einem Modell der Festkörper aus, in dem das Material durch streifenförmig angeordnete elektrische Ladungen in den Kristall-Schichten charakterisiert wird. Aus solchen Schichten sind Kuprate und andere Hochtemperatur-Supraleiter aufgebaut. Dieses Modell wurde kürzlich sehr gestärkt, als dieselbe Art von magnetischer Anregung in einem Kobalt-Oxid-Isolator beobachtet wurde, in dem es die metallischen Elektronenwellen nicht gibt.

Nun stellen die Forscher um Alexander Komarek am Max-Planck-Institut für chemische Physik fester Stoffe auch diesen zweiten Erklärungsansatz infrage. Sie erzeugten einen sehr reinen Kobalt-Oxid-Kristall, der das hourglass-Anregungsspektrum der Kuprat-Supraleiter zeigt. Allerdings fehlen ihm nicht nur metallische Eigenschaften, sondern auch die Ladungsstreifen. „Diese können wir in dem wichtigen isolierenden Referenz-System ausschließen, weil sich die Ladungen in unserem extrem reinen Kobalt-Oxid-Kristall außergewöhnlich homogen verteilen“, sagt Alexander Komarek.
Die neue Erklärung basiert auf frustrierten Elektronenspins

„Damit können wir die beiden populärsten Modelle zur Beschreibung der Spin-Anregungen in Kuprat-Hochtemperatursupraleitern für diese Kobalt-Oxid-Verbindung ausschließen“, sagt Alexander Komarek. Sein Team wartet gleichzeitig mit einer neuen Erklärung für das hour-glass-Spektrum auf. Demnach kommt es durch ein Phänomen namens Frustration zustande, das mit der gegenseitigen Ausrichtung der Spins zusammenhängt. Bei tiefen Temperaturen tendieren die Spins dazu, sich zu ordnen, ähnlich wie parallel nebeneinander liegende Magnetstäbe sich ausrichten, weil dadurch die Energie minimal wird.

Allerdings kann sich diese ideale Ordnung in den Kobaltoxidkristallen der Dresdner Forscher und möglicherweise auch in Hochtemperatursupraleitern nicht ausbilden, wie die Experimente des Dresdner Teams zeigen. Die Materialien sind chemisch nämlich so zusammengesetzt, dass zwischen den Spins, die sich eigentlich regelmäßig anordnen würden, einige wenige zusätzliche Spins untergebracht werden müssen. Jede einzelne zusätzliche elektrische Ladung stört die Ordnung bereits empfindlich. Die Spins sollen es nun gleichsam allen recht machen: um ihre Energie zu minimieren, müssten sie sich gleichzeitig sowohl relativ zum Spin der neuen Ladung ausrichten als auch die alte Ordnung beibehalten. Ein unlösbarer Konflikt.

„Gerade diese Frustration könnte nun aber der Schlüssel zum Verständnis der Anregungen in den Hochtemperatur-Supraleitern sein“, sagt Alexander Komarek. Denn den Ergebnissen des Dresdner Teams zufolge müssen Physiker möglicherweise die frustrierte Spinanordnung berücksichtigen, um das elektronische und magnetische Verhalten der Materialien zu beschreiben, die in der Neutronenstreuung durch ein hourglass-Spektrum auffallen. Ein solches umfassendes Modell auf Basis der Spin-Frustration könnte dann vielleicht sogar auch eine Erklärung liefern, warum die betreffenden Materialien Strom ohne Widerstand transportieren.


Den Artikel finden Sie unter:

http://www.mpg.de/7575666/hochtemperatur_supraleiter_magnetische_anregung

Quelle: Max-Planck-Institut für chemische Physik fester Stoffe  (10/2013)

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