Das Mikrobiom – die symbiotische Gemeinschaft mikrobieller Organismen eines Wirtsorganismus – ist von existentieller Bedeutung für die Funktion jeder Pflanze, jedes Tiers bis hin zum Menschen. Ein Forschungsteam aus Düsseldorf und Kiel unter Leitung der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) hat nun anhand der Seeanemone Nematostella vectenis untersucht, wie sich das Mikrobiom zusammen mit dem Wirt entwickelt. In Microbiome beschreiben die Forschenden, dass zu Lebensbeginn vor allem der Wirtsorganismus über die Bakteriengemeinschaft entscheidet, in der späteren Entwicklung aber die Interaktion zwischen den Bakterien die größere Rolle spielt.
Jedes vielzellige Lebewesen – von den einfachsten Organismen bis hin zum Menschen – lebt in Gemeinschaft mit einer Vielzahl von Mikroorganismen, dem sogenannten Mikrobiom. Dieses besteht unter anderem aus Bakterien, Pilzen und Viren und nimmt verschiedene Rollen ein: vom Stoffwechsel bis hin zur Immunabwehr. Ohne das Mikrobiom im menschlichen Darm könnten zum Beispiel viele Nährstoffe aus der Nahrung nicht aufgeschlossen und für den Menschen verfügbar gemacht werden.
Doch wie entwickelt sich das Mikrobiom im Laufe der Entwicklung des Wirts? Von der Seeanemone Nematostella vectenis ist bekannt, dass sich die Zusammensetzung und das Verhältnis der Mikroorganismen grundlegend zwischen verschiedenen Lebensstadien unterscheidet und erst im erwachsenen Tier eine stabile Form annimmt. Doch wer und welche Faktoren entscheiden, wie sich das Mikrobiom mit dem Reifen des Wirts ändert – steuert der Wirt die Besiedlung mit den richtigen Mikroben, oder regulieren sich die Mikroben selbst?
Mit dieser Frage befasste sich ein Team von HHU, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und dem Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Studienleiter war Prof. Dr. Sebastian Fraune vom Institut für Zoologie und Organismische Interaktionen der HHU. Die Forschungen fanden im Rahmen an der CAU geleiteten Sonderforschungsbereichs SFB 1182 „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“ statt.
Dr. Hanna Domin, Erstautorin einer nun in Microbiome erschienenen Studie: „Wir haben erwachsene Nematostella-Polypen genommen, die durch eine intensive Antibiotikabehandlung kein Mikrobiom besaßen. Diese haben wir dann gezielt wiederbesiedelt. Wir nutzten dazu Bakteriengemeinschaften, die einmal denen einer Nematostella-Larve entsprachen, zum zweiten eines Jungtiers und zum dritten eines erwachsenen Polypen.“
Die Forschenden haben in allen drei Fällen untersucht, wie sich das Mikrobiom im Laufe der Zeit entwickelte. Sie stellten fest, dass nur die Erstbesiedler – also die Bakterien, die das Mikrobiom der jüngsten Tiere bilden – wirklich gut auch in den erwachsenen Polypen starten können. Die Bakterien, die aus älteren Tieren stammen, fassen dagegen nur schlecht Fuß.
Prof. Fraune, Korrespondenzautor der Studie: „Nach der Wiederbesiedlung macht das Mikrobiom dann einen ganz ähnlichen Entwicklungsprozess durch, wie wir ihn auch bei der normalen Entwicklung von Wirt und Mikrobiom sehen. Erst nach rund vier Wochen erreicht es den Zustand normal aufgewachsener, erwachsener Tiere.“
Die Forschenden schließen daraus, dass der Wirt – vermutlich durch sein angeborenes Immunsystem – die Zusammensetzung der ursprünglichen Gemeinschaft steuert. Domin: „Auf die weitere Entwicklung des Mikrobioms nimmt der Wirt dann aber keinen großen Einfluss mehr. Diese steuern die Bakterien selbst, sie bereiten jeweils ihren Nachfolgern einen passenden Boden.“
Ein wichtiger Aspekt des Projekts, der in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Christoph Kaleta in Kiel vorangetrieben wurde, war die Untersuchung sogenannter metabolischer Netzwerke. Darüber wird untersucht, wie die unterschiedlichen Bakterien über ihren Stoffwechsel zusammenhängen und sich gegenseitig beeinflussen. „Wir konnten Stoffwechselwege identifizieren, die spezifisch für Erstbesiedler sind und auch solche, die erst später eine Rolle spielen“, so Dr. Johannes Zimmermann von der CAU.
So stellte das Forschungsteam fest, dass der Abbau des Polysaccharid Chitin insbesondere für die Erstbesiedler eine zentrale Rolle spielt. Erst kürzlich war überhaupt entdeckt worden, dass Nematostella Chitin produzieren kann. Warum die Tiere dies tun, war aber unbekannt, da sie zum Beispiel – anders als Insekten – Chitin nicht für ihren strukturellen Aufbau benötigen. Fraune: „Unsere Ergebnisse geben deutliche Hinweise, dass Chitin eine Rolle für das Mikrobiom spielt.“
Die Seeanemone besitzt ausschließlich ein angeborenes Immunsystem. Dennoch sind die Ergebnisse auch relevant für die medizinische Forschung. Neugeborene kommen direkt nach der Geburt in Kontakt mit einer Vielzahl von Bakterien, wobei ihnen in dieser Phase des Lebens auch nur das angeborene Immunsystem zur Verfügung steht. So ist auch beim Menschen die Erstbesiedlung mit den richtigen Mikroben entscheidend, um ein funktionsfähiges Mikrobiom zu erhalten und das adaptive Immunsystem zu trainieren.
Fraune: „Man hat gesehen, dass gerade Kaiserschnittkinder, die während der Geburt nur bedingt mit den Bakteriengemeinschaften der Mutter in Berührung kommen, häufig eine andere Mikrobiomentwicklung haben als auf natürliche Weise geborene Kinder.“ Eine gestörte mikrobielle Besiedlung während der frühen Entwicklungsphase verändert jedoch die Stoffwechsel- und Immunprogrammierung und scheint mit einem erhöhten Risiko für Immun- und Stoffwechselkrankheiten verbunden zu sein. Darum gibt es erste Studien in denen per Kaiserschnitt geborene Kinder unmittelbar nach der Geburt mit dem Vaginalsekret der Mutter in Berührung gebracht werden, um eine natürliche Erstbesiedlung sicherzustellen.
Den Artikel finden Sie unter:
https://www.hhu.de/news-einzelansicht/mikrobiomentwicklung-bakterien-bereiten-ihren-nachfahren-das-feld
Quelle: Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (11/2023)
Publikation:
H. Domin, J. Zimmermann, J. Taubenheim, G. Fuentes Reyes, L. Saueressig, D. Prasse, M. Höppner, R. A. Schmitz, U. Hentschel, C. Kaleta and S. Fraune; Sequential host‑bacteria and bacteria‑bacteria interactions determine the microbiome establishment of Nematostella vectensis; Microbiome 11, 257 (2023).
DOI: 10.1186/s40168-023-01701-z
Donnerstag, den 23. November 2023 um 05:42 Uhr