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Montag, den 19. Juni 2023 um 05:01 Uhr

Wie eine me­tha­no­ge­ne Mi­kro­be die Sul­fat­re­duk­ti­on meis­tert

Forschende des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen lüften die molekularen Geheimnisse einer methan-bildenden Mikrobe, die Sulfat in Sulfid umwandeln kann – einen gebrauchsfertigen Baustein für Zellen. Ihre Entdeckung eröffnet spannende Möglichkeiten für die Produktion von Biokraftstoff.

Schwe­fel, ein un­ver­zicht­ba­rer Bau­stein des Le­bens

Schwe­fel ist ein grund­le­gen­des Ele­ment des Le­bens. Alle Le­be­we­sen be­nö­ti­gen ihn, um Ma­te­ri­al für ihre Zel­len her­zu­stel­len. Au­to­tro­phe Or­ga­nis­men wie Pflan­zen und Al­gen ge­win­nen Schwe­fel, in­dem sie Sul­fat in Sul­fid um­wan­deln, das in die Bio­mas­se ein­ge­baut wer­den kann. Die­ser Pro­zess braucht je­doch sehr viel En­er­gie und er­zeugt schäd­li­che Zwi­schen- und Ne­ben­pro­duk­te, die so­fort wei­ter­ver­ar­bei­tet wer­den müs­sen. Lan­ge Zeit nahm man da­her an, dass so­ge­nann­te me­tha­no­ge­ne (me­than­bil­den­de) Mi­kro­ben, die meist we­nig En­er­gie zur Ver­fü­gung ha­ben, nicht in der Lage wä­ren, Sul­fat in Sul­fid um­zu­wan­deln. Man ver­mu­te­te, dass die­se Mi­kro­ben, die die Hälf­te des welt­wei­ten Me­thans pro­du­zie­ren, auf an­de­re For­men von Schwe­fel an­ge­wie­sen wä­ren, etwa auf Sul­fid.
Eine me­tha­no­ge­ne Mi­kro­be, die Sul­fat ver­wer­tet?

Die­ses Dog­ma wur­de 1986 wi­der­legt mit der Ent­de­ckung von Methanothermococcus thermolithotrophicus – ei­nem Me­tha­no­gen, das Sul­fat als ein­zi­ge Schwe­fel­quel­le nutzt. Wie ist das mög­lich an­ge­sichts der en­er­ge­ti­schen Kos­ten und gif­ti­gen Zwi­schen­pro­duk­te? War­um ist es au­gen­schein­lich das ein­zi­ge Me­tha­no­gen, das auf die­ser Schwe­fel­art wach­sen kann? Nutzt die­se Mi­kro­be che­mi­sche Tricks oder eine bis­her un­be­kann­te Stra­te­gie, um Sul­fat zu as­si­mi­lie­ren? Ma­ri­on Jes­per­sen und Tris­tan Wag­ner vom Max-Planck-In­sti­tut für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie ha­ben nun Ant­wor­ten auf die­se Fra­gen ge­fun­den und in der Zeit­schrift Nature Microbiology ver­öf­fent­licht.

Zu­nächst stan­den die For­schen­den vor der Her­aus­for­de­rung, die­se Mi­kro­be mit der neu­en Schwe­fel­quel­le zum Wach­sen zu brin­gen. „Als ich mei­ne Dok­tor­ar­beit be­gann, muss­te ich M. thermolithotrophicus erst ein­mal da­von über­zeu­gen, Sul­fat statt Sul­fid zu es­sen,“ be­rich­tet Ma­ri­on Jes­per­sen. „Aber nach­dem ich das Nähr­me­di­um op­ti­miert hat­te, wur­de Methanothermococcus zum Ex­per­ten für das Wach­sen auf Sul­fat und er­reich­te ähn­li­che Zell­dich­ten wie beim Wachs­tum auf Sul­fid.“

„Rich­tig span­nend wur­de es, als wir eine Ab­nah­me der Sul­fat­wer­te ma­ßen, wäh­rend der Or­ga­nis­mus wuchs. Das war der Mo­ment, an dem wir wirk­lich be­wei­sen konn­ten, dass das Me­tha­no­gen die­se Sub­stanz ver­wer­tet.“ Nun war es den For­schen­den mög­lich, M. thermolithotrophicus si­cher in Bio­re­ak­to­ren in gro­ßem Maß­stab zu kul­ti­vie­ren, denn sie wa­ren nicht auf das gif­ti­ge und ex­plo­si­ve Schwe­fel­was­ser­stoff­gas an­ge­wie­sen. „So konn­ten wir ge­nü­gend Bio­mas­se er­zeu­gen, um die­se fas­zi­nie­ren­de Mi­kro­be zu er­for­schen“, er­klärt Jes­per­sen. Nun konn­te sie die zu­grun­de­lie­gen­den Pro­zes­se ge­nau er­for­schen.

Die ers­te mo­le­ku­la­re Auf­schlüs­se­lung der Sul­fat-As­si­mi­la­ti­on

Um die mo­le­ku­la­ren Me­cha­nis­men der Sul­fa­tas­si­mi­la­ti­on zu ver­ste­hen, un­ter­such­ten die For­schen­den das Ge­nom von M. thermolithotrophicus. Sie fan­den fünf Gene, die in der Lage wä­ren, En­zy­me für die Sul­fat­re­duk­ti­on zu ko­die­ren. „Wir ha­ben es ge­schafft, je­des ein­zel­ne die­ser En­zy­me zu cha­rak­te­ri­sie­ren und so­mit den ge­sam­ten Stoff­wech­sel­weg zu er­for­schen. Eine wah­re Meis­ter­leis­tung, wenn man sich die Kom­ple­xi­tät des Stoff­wech­sel­we­ges vor Au­gen führt“, sagt Tris­tan Wag­ner, Lei­ter der Max-Planck-For­schungs­grup­pe Mi­kro­bi­el­le Me­ta­bo­lis­men.

Durch die in­di­vi­du­el­le Cha­rak­te­ri­sie­rung der En­zy­me konn­ten die For­schen­den den ers­ten Sul­fat-As­si­mi­la­ti­ons­weg ei­nes Me­tha­no­gens re­kon­stru­ie­ren. Wäh­rend die ers­ten bei­den En­zy­me des We­ges gut be­kannt sind und in vie­len Mi­kro­ben und Pflan­zen vor­kom­men, wa­ren die dar­auf­fol­gen­den En­zy­me neu­ar­tig. „Er­staun­li­cher­wei­se hat M. thermolithotrophicus of­fen­bar ein En­zym ei­nes dis­si­mi­lie­ren­den, sul­fat­re­du­zie­ren­den Or­ga­nis­mus ge­ka­pert und es leicht mo­di­fi­ziert, um sei­nen ei­ge­nen Be­dürf­nis­sen zu ent­spre­chen“, sagt Jes­per­sen. Wäh­rend ei­ni­ge Mi­kro­ben Sul­fat als Zell­bau­stein as­si­mi­lie­ren, ver­wen­den an­de­re es, um in ei­ner dis­si­mi­la­to­ri­schen Re­ak­ti­on En­er­gie zu ge­win­nen – wie Men­schen bei der Sau­er­stoff­at­mung. Die Mi­kro­ben, die die­se dis­si­mi­la­to­ri­sche Sul­fat­re­duk­ti­on durch­füh­ren, nut­zen dazu an­de­re En­zy­me. Das hier un­ter­such­te Me­tha­no­gen hat ei­nes die­ser dis­si­mi­la­to­ri­schen En­zy­me in ein as­si­mi­la­to­ri­sches En­zym um­ge­wan­delt. „Das ist eine ein­fa­che, aber sehr ef­fek­ti­ve Stra­te­gie und wahr­schein­lich der Grund, war­um die­ses Me­tha­no­gen auf Sul­fat wach­sen kann. Bis­her wur­de die­ses spe­zi­el­le En­zym nur in M. thermolithotrophicus und in kei­nem an­de­ren Me­tha­no­gen ge­fun­den“, so Jes­per­sen.

Al­ler­dings muss M. thermolithotrophicus auch mit zwei Gift­stof­fen fer­tig wer­den, die bei der As­si­mi­la­ti­on von Sul­fat ent­ste­hen. Da­für sind die bei­den letz­ten En­zy­me des We­ges ge­dacht: Das ers­te, das wie­der­um ei­nem dis­si­mi­la­to­ri­schen En­zym äh­nelt, wan­delt Sul­fit in Sul­fid um. Das zwei­te ist eine bis­her un­be­kann­te Phos­pha­ta­se, die sehr ef­fi­zi­ent das an­de­re Gift mit dem Kurz­na­men PAP auf­spal­tet.

„Of­fen­bar hat M. thermolithotrophicus ge­ne­ti­sche In­for­ma­tio­nen aus sei­ner mi­kro­bi­el­len Um­welt ge­sam­melt, die es mög­lich ma­chen, auf Sul­fat zu wach­sen. In­dem es as­si­mi­la­to­ri­sche und dis­si­mi­la­to­ri­sche En­zy­me misch­te und auf­ein­an­der ab­stimm­te, schuf es sei­ne ei­ge­ne funk­ti­ons­tüch­ti­ge Sul­fat­re­duk­ti­ons­ma­schi­ne­rie“, er­klärt Wag­ner.

Neue Mög­lich­kei­ten für bio­tech­no­lo­gi­sche An­wen­dun­gen

Hy­dro­ge­notro­phe Me­tha­no­ge­ne, wie M. thermolithotrophicus, ha­ben die er­staun­li­che Fä­hig­keit, zwei­wer­ti­gen Was­ser­stoff (H2, z.B. künst­lich mit er­neu­er­ba­rer En­er­gie her­ge­stellt) und Koh­len­di­oxid (CO2) in Me­than (CH4) um­zu­wan­deln. Mit an­de­ren Wor­ten: Sie kön­nen das Treib­haus­gas CO2 in den Bio­kraft­stoff CH4 um­wan­deln, mit dem wir zum Bei­spiel hei­zen kön­nen. Zu die­sem Zweck wer­den Me­tha­no­ge­ne in gro­ßen Bio­re­ak­to­ren ge­züch­tet. Ein der­zei­ti­ger Eng­pass bei der Kul­ti­vie­rung von Me­tha­no­ge­nen ist ihr Be­darf an dem hoch­ge­fähr­li­chen und ex­plo­si­ven Schwe­fel­was­ser­stoff­gas als Schwe­fel­quel­le. Mit der Ent­de­ckung des Sul­fat-As­si­mi­la­ti­ons­we­ges in M. thermolithotrophicus ist es mög­lich, Me­tha­no­ge­ne, die be­reits in der Bio­tech­no­lo­gie ein­ge­setzt wer­den, gen­tech­nisch so zu ver­än­dern, dass sie statt­des­sen die­sen Weg nut­zen - und da­mit eine si­che­re­re und kos­ten­güns­ti­ge­re Bio­gas­pro­duk­ti­on zu ent­wi­ckeln.

„Eine drin­gen­de of­fe­ne Fra­ge ist, war­um M. thermolithotrophicus in der Na­tur Sul­fat as­si­mi­lie­ren soll­te. Dazu müs­sen wir das La­bor ver­las­sen und se­hen, ob die für den Stoff­wech­sel­weg er­for­der­li­chen En­zy­me auch in der na­tür­li­chen Um­ge­bung die­ser Mi­kro­be ex­pri­miert wer­den“, schließt Wag­ner.
Marion Jespersen


Den Artikel finden Sie unter:

https://www.mpi-bremen.de/Mix-and-Match-Wie-eine-methanogene-Mikrobe-die-Sulfatreduktion-meistert.html

Quelle: Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie (06/2023)


Publikation:
Jes­per­sen, Ma­ri­on & Wag­ner, Tris­tan (2023): As­si­mi­la­to­ry sul­fa­te-re­duc­tion in the ma­ri­ne me­tha­no­gen Methanothermococcus thermolithotrophicus. Na­tu­re Mi­cro­bio­lo­gy (5. Juni 2023).
https://www.nature.com/articles/s41564-023-01398-8

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