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Donnerstag, den 01. Juni 2017 um 14:49 Uhr

Die Regeln der Paviane

Wie gelingt es Pavianen, die Bewegung ihrer Herde zu koordinieren? Biologen der Universität Konstanz untersuchten anhand von frei lebenden Tieren die Verhaltensregeln, nach denen Paviane mit ihren Gruppenmitgliedern interagieren. Die Forscherinnen und Forscher konnten zeigen, dass den Tieren bereits einfache Regeln ausreichen, um ihr Gruppenbewegung zu koordinieren. Dies erlaubt den Tieren, sich abzustimmen und Entscheidungen zu treffen, ohne dass dadurch die Gruppe aufgetrennt würde. In vier kürzlich veröffentlichten Forschungspublikationen – veröffentlicht in den Wissenschaftsjournalen Science, Scientific Reports, eLife und Proceedings of the Royal Society B – zeichnen die Konstanzer Kollektivforscher ein neues Bild von der Gruppendynamik unter Pavianen und geben Antworten auf die Frage, wie Individuen Entscheidungen innerhalb der Gruppe treffen. Die Forschung erfolgte in Kooperation der Universität Konstanz mit dem Max-Planck-Institut für Ornithologie, dem Smithsonian Tropical Research Institute in Panama sowie der Princeton University, der University of California, Davis, sowie der University of Illinois at Chicago (jeweils USA).

Paviane werden aufgrund ihrer komplexen sozialen Strukturen seit vielen Jahren wissenschaftlich erforscht. Sie bilden Gruppen von 20 bis hin zu mehr als 100 Tieren. Die ersten Forschungen nahmen zunächst an, dass Paviane ein hohes Maß an Aufmerksamkeit aufwenden müssen, um ihr Verhalten mit so vielen Tieren ihrer Gruppe zu koordinieren. So gehen die klassischen Theorien zur Gruppenkoordination unter Pavianen davon aus, dass sich große, erwachsene Individuen am Rand der Gruppe aufhalten sollen, um die jüngeren und schwächeren Tiere in der Mitte beschützen zu können. Um diese Positionierung aber beständig aufrechterhalten zu können, müsste jeder Affe immerzu wissen, wo sich alle anderen Mitglieder der Gruppe aktuell befinden. Die Konstanzer Biologen konnten zeigen, dass das Wissen um diese Positionierung nicht zwingend der Fall ist – und auch gar nicht nötig ist. „Tatsächlich kann es Tieren im Allgemeinen bereits ausreichen, ihre Bewegungen mit nur wenigen Nachbartieren zu koordinieren, um ihre Gruppe zusammenzuhalten. Was wir bei Pavianen beobachtet haben, entspricht diesem Schema“, schildert die Biologin Dr. Ariana Strandburg-Peshkin aus dem Forschungsteam. Es lässt sich mathematisch erklären, wie es Tieren gelingt, bestimmte Positionen innerhalb der Gruppe (im Zentrum oder am Rand, vorne oder hinten) beizubehalten, schildert ihr Kollege Dr. Damien Farine: „Wenn ein Pavian versucht, in der Nähe von auch nur einer geringfügig größeren Zahl an Nachbartieren zu bleiben, wird er ganz automatisch dichter ins Zentrum des Kollektivs rutschen. Individuen, die sich hingegen mit einer kleineren Zahl an Tieren der Gruppe koordinieren, werden sich tendenziell eher weiter außen am Rand der Gruppe wiederfinden.“

Der entscheidende Faktor für die Aufrechterhaltung der Gruppenstruktur ist demnach die „Nachbarschaftsgröße“ (neighbourhood size), also die Anzahl benachbarter Tiere, mit denen ein Individuum zusammenbleibt. „Die Bewegungen der Paviane lassen sich mit dieser einfachen Regel konsistent nachvollziehen. Somit ergibt sich die Gruppenstruktur der Pavianherde aus den lokalen Verhaltensregeln der einzelnen Individuen und nicht etwa aus einem gemeinsamen Beschluss der gesamten Gruppe“, erklärt Prof. Iain Couzin von der Universität Konstanz sowie dem Max-Planck-Institut für Ornithologie und ergänzt: „Wie wir ferner beobachten, gleichen die Bewegungsregeln der Paviane und die Mechanismen, wie sie Entscheidungen treffen, in hohem Maße den Entscheidungsprozessen, die wir in Fisch- und Vogelschwärmen finden.“

Für ihre Forschung beobachteten die Biologen eine Gruppe von 25 Pavianen in freier Wildbahn in Kenia – ein aufwändiges Projekt, das maßgeblich von Prof. Margaret Crofoot (University of California, Davis) durchgeführt wurde. GPS-Sender übermittelten zwei Wochen lang die Positionen der einzelnen Tiere sekundengenau. Die Forscher kombinierten die Bewegungsdaten der Tiere mit von einer Drone aufgenommenen Fernbildaufnahmen der Umgebung in allen drei Dimensionen sowie der Beschaffenheit der Vegetation, um ein Gesamtbild der Umgebungsbedingungen zu erhalten.

Die Auswertung der Daten eröffnet neue Erkenntnisse zum Gruppenverhalten der Paviane. In einer Reihe von Publikationen konnten die Wissenschaftler bereits Gruppendynamiken und Faktoren herausarbeiten, die die Bewegungen von einzelnen Tieren der Herde beeinflussen und letztlich die gesamte Gruppenstruktur bestimmen. Die Neigung der Paviane, anderen Mitgliedern der Gruppe zu folgen, ist der stärkste Faktor und Motor ihres Entscheidungsverhaltens. So nutzen Paviane beispielsweise bevorzugt Wege, die in den Minuten zuvor von anderen Gruppenmitgliedern durchquert wurden. Je mehr Paviane eine bestimmte Wegstrecke nutzen, desto attraktiver wird sie für andere Mitglieder der Gruppe. Wenn die Gruppe sich entscheiden muss, in welche Richtung sie geht, und mehrere Mitglieder der Gruppe in verschiedene Richtungen aufbrechen, neigen Paviane dazu, der Mehrzahl zu folgen.

„Die Studien geben uns neue Einsichten in die Art und Weise, wie Paviane Entscheidungen treffen. Wir lassen die Vorstellung hinter uns, dass ein einzelnes dominantes Männchen die Entscheidungen für die ganze Gruppe trifft“, schildert Damien Farine. Stattdessen fallen die Entscheidungsprozesse der Paviane sehr viel demokratischer aus, wie die Konstanzer Forscher zeigen. Viele ihrer sehr komplexen Verhaltensmuster könnten vielmehr das Ergebnis einfacher Verhaltensregeln sein, was den Individuen potenziell erlauben würde, ihre Aufmerksamkeit stärker auf andere Dinge zu konzentrieren – zum Beispiel nach Raubtieren Ausschau zu halten.


Den Artikel finden Sie unter:

https://www.uni-konstanz.de/universitaet/aktuelles-und-medien/aktuelle-meldungen/aktuelles/aktuelles/die-regeln-der-paviane/

Quelle: Universität Konstanz (05/2017)

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