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Mittwoch, den 22. März 2017 um 07:02 Uhr

Zelluläre Müllabfuhr: Wie sich tierische Zellen vor gefährlichen Stoffen schützen

In zwei aktuellen Studien haben Wissenschaftler um Ahmad Fazeli und Ann Wehman von der Universität Würzburg neue Erkenntnisse zur Abfallbeseitigung in tierischen Zellen veröffentlicht. Diese könnten helfen, die molekularen Mechanismen hinter Autoimmunkrankheiten wie Lupus zu verstehen.

Tierische Zellen entwickelten im Laufe der Evolution Strategien, um unerwünschte Fremdkörper abzubauen. Auf diese Weise beseitigen sie nicht nur eindringende Krankheitserreger, sondern auch abgestorbene Zellen und Zellfragmente. Ist die Abfallbeseitung in Zellen gestört, kann das zu Überreaktionen des Immunsystems und zur Ausbildung von Autoimmunerkrankungen wie Lupus führen.

Wissenschaftler vom Rudolf-Virchow-Zentrum für Experimentelle Biomedizin der Universität Würzburg untersuchten nun ganz bestimmte Zellfragmente: die Überreste des Mittelkörpers. Der Mittelkörper ist eine Übergangsstruktur, die am Ende jeder Zellteilung entsteht und das letzte Verbindungsstück zwischen den Tochterzellen darstellt. Diese Struktur wurde erstmals 1891 von dem deutschen Anatom Walther Flemming beschrieben, weshalb sie auch unter dem Namen Flemming-Körper bekannt ist.

Nach der Zellteilung wird der Mittelkörper entweder an eine Tochterzellen vererbt oder an die Umgebung abgegeben. In jedem Fall muss er jedoch bald abgebaut werden, da der Mittelkörper sonst weitere Auswirkungen auf die Zellen haben kann. "Bekannt ist", erklärt Dr. Ahmad Fazeli, Erstautor der beiden Studien, "dass Überreste des Mittelkörpers die Polarität und das Schicksal von Zellen beeinflussen". Krebszellen beispielsweise würden die Flemming-Körper anreichern, was zu vermehrtem Wachstum führen könne. "Offen war die Frage, wie Zellen normalerweise die Beseitigung oder den Abbau der Mittelkörpers kontrollieren", so Fazeli weiter. Bisherige Studien seien bislang von zwei möglichen Szenarien zum Schicksal des Mittelkörper ausgegangen: entweder verbleibt er in einer der Tochterzellen und wird durch Autophagie (Abbau zelleigener Bestandteile) verdaut, oder er wird zunächst von beiden Tochterzellen an die Umgebung abgegeben und später von einer Zelle über Phagozytose (Aufnahme und Abbau von Fremdkörpern) aufgenommen und verarbeitet.

Mit ihren neuen Studien konnten die Wissenschaftler beide mögliche Szenarien in einem Modell in Einklang bringen, wie sie in den Fachzeitschriften Journal of Cell Science und Communicative & Integrative Biology berichten. Das Team um Ann Wehman untersuchte dafür die sich schnell teilenden Zellen von Embryonen des Fadenwurms Caenorhabditis elegans, dessen Proteine und Abläufe in den Zellen erstaunlich starke Ähnlichkeiten zum menschlichen System haben. In ihren Studien analysierten sie die Rolle verschiedener Proteine, die an Autophagie oder Phagzytose beteiligt sind und stellten überraschend fest, dass beide Systeme beim Abbau des Mittelkörpers zusammenarbeiten können.
Wie die Wissenschaftler herausfanden, wird der Mittelkörper in embryonalem Gewebe des Fadenwurms von den Tochterzellen an die Umgebung abgegeben und von angrenzenden Zellen aufgenommen. Autophagie-Proteine umschließen dort den aufgenommenen Mittelkörper und unterstützen seinen Abbau. Das bedeutet, dass Proteine, die normalerweise für die Entsorgung zelleigener Bestandteile verantwortlich sind, sich auch am Abbau von Fremdkörpern beteiligen. Mit den aktuellen Studien konnten die Wissenschaftler zeigen, dass der Mittelkörper schließlich durch LC3-assoziierte Phagozytose (LAP) abgebaut wird. Bislang galt LAP als ein Prozess, der normalerweise für den Abbau eindringender Bakterien oder die Überreste abgestorbener Zellen zuständig ist, sozusagen eine zelluläre Müllabfuhr. Neu ist jedoch seine Beteiligung am Abbau des Mittelkörpers.

"Auf den ersten Blick scheint es verwunderlich, dass Zellen einen derart komplexen Mechanismus entwickelt haben, mit dem Mittelkörper umzugehen. Da diese Übergangsstruktur aber selbst Signaleigenschaften besitzt, ist deren Regulierung von großer Bedeutung für die Zelle", erläutert Dr. Ann Wehman. Das Freisetzen des Mittelkörpers geschieht am Ende der Zellteilung. Ein in einer Tochterzelle verbleibender Mittelkörper könnte hingegen das Signal zu einer erneuten Teilung geben, was zu Veränderungen in der Größe und Form von Zellen führt oder sogar zu deren Fragmentierung. Da auch ein aufgenommener Mittelkörper das Schicksal der Empfängerzelle beeinflussen kann, ist dessen zügiger Abbau wichtig. In seine Bestandteile zerlegt, ist der Mittelkörper nicht nur "unschädlich", sondern kann von der Zelle auch recycelt werden.

Das neue Modell zum Schicksal und Abbau des Mittelkörpers vereint Erkenntnisse bisheriger Studien in Fadenwürmern, Fliegen und Säugetier-Zellen. Daher vermuten die Forscher um Ann Wehman, dass ihre Erkenntnisse weitestgehend auch auf den Menschen übertragbar sind und helfen könnten, die Mechanismen hinter Erkrankungen wie Krebs oder der Autoimmunkrankheit Lupus besser zu verstehen. Derzeit untersucht das Team weitere Funktionen von LAP in Wurmembryonen und will so herauszufinden, wie Zellen mit Hilfe von LAP ihre Umgebung reinigen und auf diese Weise den Embryo vor Zellabfall schützen.


Den Artikel finden Sie unter:

http://www.rudolf-virchow-zentrum.de/aktuelles/aktuelles-details/article/zellulaere-muellabfuhr-wie-sich-tierische-zellen-vor-gefaehrlichen-stoffen-schuetzen.html

Quelle: Rudolf-Virchow-Zentrum für Experimentelle Biomedizin der Universität Würzburg (03/2017)


Publikation:
Fazeli G, Trinkwalder M, Irmisch L, Wehman AM. (2016) C. elegans midbodies are released, phagocytosed and undergo LC3-dependent degradation independent of macroautophagy. J Cell Science. 129(20):3721-3731.

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