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Donnerstag, den 06. Oktober 2022 um 14:23 Uhr

Magnetische Nano-Mosaike

Seit ungefähr zehn Jahren sind magnetische Skyrmionen – teilchenartige, stabile magnetische Wirbel, die in bestimmten Materialien entstehen können und faszinierende Eigenschaften besitzen – im Fokus der Forschung: Elektrisch gut zu kontrollieren und nur wenige Nanometer groß eignen sie sich für zukünftige Anwendungen in der Spinelektronik, in Quantencomputern oder in neuromorphen Chips. Gefunden wurden diese magnetischen Wirbel zunächst in regelmäßigen Gittern, sogenannten Skyrmionengittern, später wurden an der Universität Hamburg auch einzelne Skyrmionen beobachtet. Forschende der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und der Universität Hamburg haben jetzt eine neue Klasse von spontan auftretenden magnetischen Gittern entdeckt. Sie sind zwar mit den Skyrmionengittern verwandt, aber ihre „atomaren Stabmagnete“ auf der Nanometerskala sind anders ausgerichtet. Ein grundsätzliches Verständnis davon, wie solche komplexen Spinstrukturen entstehen, angeordnet sind und stabil bleiben, ist auch für zukünftige Anwendungen nötig. Das Forschungsteam präsentiert seine Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Nature Communications.

Quantenmechanische Wechselwirkungen

Um Magnete am Kühlschrank zu befestigen oder Daten einer Festplatte auszulesen, braucht es eine quantenmechanische Austauschwechselwirkung zwischen den atomaren Stabmagneten auf der mikroskopischen Skala. Mit dieser Wechselwirkung, die Werner Heisenberg 1926 entdeckt hat, lässt sich nicht nur die parallele Ausrichtung atomarer Stabmagnete in Ferromagneten, sondern auch das Auftreten anderer magnetischer Konfigurationen beispielsweise von Antiferromagneten erklären. Mittlerweile sind viele weitere magnetische Wechselwirkungen bekannt, was zu einer Vielzahl von möglichen magnetischen Zuständen und neuen Forschungsfragen geführt hat. Das ist nicht zuletzt für die Skyrmionengitter entscheidend, denn hier zeigen die atomaren Stabmagnete in alle Raumrichtungen – möglich ist das nur durch die Konkurrenz verschiedener Wechselwirkungen.

„In unseren Messungen haben wir eine hexagonale Anordnung von magnetischen Kontrasten gefunden und das zuerst auch für ein Skyrmionengitter gehalten. Erst später wurde klar, dass es ein nanoskaliges magnetisches Mosaik sein könnte“, so PD Dr. Kirsten von Bergmann. Mit ihrem Team von der Universität Hamburg untersuchte sie dünne metallische Filme aus Eisen und Rhodium experimentell mit spin-polarisierter Rastertunnelmikroskopie. Damit lassen sich magnetische Strukturen bis hin zur atomaren Skala abbilden. Die beobachteten magnetischen Gitter traten spontan auf wie bei einem Ferromagneten, d.h. ohne angelegtes magnetisches Feld. „Mit einem Magnetfeld können wir die Mosaikgitter invertieren, denn die entgegengesetzten Spins kompensieren sich nur teilweise“, so Dr. André Kubetzka, ebenfalls von der Universität Hamburg.

Überraschend: Magnetisch anders ausgerichtet

Aufgrund dieser Messungen führte die Gruppe von Prof. Dr. Stefan Heinze (CAU) quantenmechanische Rechnungen auf den Supercomputern des Norddeutschen Verbandes für Hoch- und Höchstleistungsrechnen (HLRN) durch. Sie zeigen, dass in den untersuchten Eisenfilmen die Verkippung der atomaren Stabmagnete in einem Gitter aus magnetischen Wirbeln, also in alle Raumrichtungen, sehr ungünstig ist. Begünstigt wird dort stattdessen eine nahezu parallele oder antiparallele Ausrichtung benachbarter atomarer Stabmagnete.

„Dieses Ergebnis hat uns vollkommen überrascht. Ein Gitter aus Skyrmionen kam damit nicht mehr als Erklärung für die experimentellen Beobachtungen in Frage“, sagt die Doktorandin Mara Gutzeit, Erstautorin der Studie. Erst die Entwicklung eines atomistischen Spinmodells brachte Klarheit, dass es sich um eine neuartige Klasse von magnetischen Gittern handeln musste, die die Forschenden als „Mosaikgitter“ bezeichneten. „Wir haben festgestellt, dass Austauschterme höherer Ordnung, die erst vor wenigen Jahren vorhergesagt wurden, diese mosaikartigen magnetischen Strukturen hervorrufen“, so Dr. Soumyajyoti Haldar aus der Kieler Arbeitsgruppe.

„Die Studie zeigt eindrucksvoll, wie vielfältig Spinstrukturen sein können und wie vorteilhaft für ihr Verständnis eine enge Zusammenarbeit zwischen experimentell und theoretisch arbeitenden Forschungsgruppen ist. Auf diesem Gebiet sind zukünftig noch einige Überraschungen zu erwarten“, ist sich Prof. Stefan Heinze sicher.

Über die Spinelektronik:

Die Spinelektronik nutzt neben der Ladung der Elektronen auch deren Drehsinn, den sogenannten Spin. Dieser Elektronen-Spin ist eine quantenmechanische Eigenschaft und kann vereinfacht als Drehung der Elektronen um ihre eigene Achse verstanden werden. Damit ist ein magnetisches Moment verknüpft, das in magnetischen Materialien zur Ausbildung „atomarer Stabmagnete“ (atomarer Spins) führt. Sie eignen sich dazu, Informationen zu verarbeiten und zu speichern. Durch eine gezielte elektrische Manipulation könnte man damit schnellere, energiesparendere und leistungsfähigere Bauelemente für die Informationstechnologie schaffen.


Den Artikel finden Sie unter:

https://www.uni-kiel.de/de/detailansicht/news/147-magnetisches-mosaik

Quelle: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (10/2022)


Publikation:
Nano-scale collinear multi-Q states driven by higher-order interactions,
Mara Gutzeit, André Kubetzka, Soumyajyoti Haldar, Henning Pralow, Moritz A. Goerzen, Roland Wiesendanger, Stefan Heinze und Kirsten von Bergmann,
Nature Communications 13, 2022, Online-Veröffentlichung vom 30.09.2022,
https://doi.org/10.1038/s41467-022-33383-w
https://www.nature.com/articles/s41467-022-33383-w

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