Donnerstag, den 11. November 2021 um 05:24 Uhr

Kohlendioxid kann zur wertvollen Ressource werden

In einer neuen Studie zeigen Forschende des Paul Scherrer Instituts PSI, dass die sogenannte CO2-Elektrolyse profitabel sein und einen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann. Bei diesem Verfahren wird Kohlendioxid aus der Atmosphäre oder am Ort seiner Entstehung, beispielsweise bei industrieller Produktion, aufgefangen. Die anschliessende Umwandlung per Elektrolysezelle macht dieses dann für die chemische Industrie nutzbar. Die Studie hat den Einsatz verschiedener Zelldesigns in industriellem Massstab simuliert.

Eine der grössten Herausforderungen unserer Zeit ist es, die Konzentration von Kohlendioxid (CO2) und anderen Treibhausgasen in der Atmosphäre zu verringern. Nur so können wir den Klimawandel aufhalten. Dazu ist es nicht nur notwendig, die Emissionen von Industrie, Verkehr und Haushalten rapide zu senken. Um die beschlossenen Klimaziele rechtzeitig zu erreichen – das zeigen viele Analysen –, müssen wir ausserdem der Atmosphäre aktiv CO2 entziehen oder dieses bereits an den Quellen abfangen, um es unschädlich zu machen.

Eine wichtige Frage lautet: Was geschieht dann mit diesem Treibhausgas? Eine Möglichkeit besteht darin, es quasi wegzuschliessen. Das wird in sogenannten CCS-Projekten (Carbon Capture and Storage) bereits durchgeführt und das CO2 in unterirdische Speicher wie etwa entleerte Erdgas- oder Salzlagerstätten gepumpt. Die andere Option ist, CO2 als Rohstoff zu nutzen – CCU genannt (Carbon Capture and Utilization). Es kann entweder direkt als Lösch-, Kälte- und Düngemittel dienen. Lohnender jedoch ist die Verwendung als Ausgangsstoff für andere Produkte.

Frühere Studien unter anderem des PSI haben gezeigt, dass die Produkte Kohlenmonoxid (CO) und Ameisensäure (HCOOH) besonders aussichtsreich sind, weil sie sich recht leicht aus Kohlendioxid herstellen lassen: zusammen mit Wasser per Elektrolyse. Ameisensäure dient etwa als Antirheumatikum in der Medizin oder als Beiz- und Imprägniermittel in der Textil- und Lederindustrie. Kohlenmonoxid wird zum Beispiel als Reduktionsmittel bei der Verhüttung von Erzen benötigt – vor allem aber können daraus zusammen mit Wasserstoff synthetische Kraftstoffe hergestellt werden. Und diese gelten als sehr zukunftsträchtig, da sie Diesel, Benzin und Kerosin aus fossilen Quellen ersetzen können und CO2-neutral sind.

Das PSI forscht sehr viel in diesem Bereich: Gemeinsam mit der Empa, dem Material- und Technologieforschungsinstitut des ETH-Bereichs, hat das Institut zu Beginn dieses Jahres die Initiative SynFuels gestartet, die vom ETH-Rat gefördert wird. Ausserdem war das PSI federführend beim Kompetenzzentrum des Bundes für Forschung zu Strom- und Wärmespeicherung (SCCER Heat and Electricity Storage). Beide Initiativen haben die Forschung der aktuellen Studie ermöglicht.

Im Rahmen der Studie untersuchten die Forschenden des PSI gemeinsam mit internationalen Kollegen nun, ob die Elektrolyse von CO2 zu CO oder HCOOH wirtschaftlich profitabel betrieben werden kann und ob sie mehr CO2 verbraucht, als sie selbst durch ihren Energiebedarf erzeugt. Mit anderen Worten: Kann das Verfahren Geld einbringen und gleichzeitig als CO2-Senke das Klima schützen?

Simulation sechs verschiedener Elektrolyse-Fabriken

Zunächst haben die Forschenden um Erstautor Bernhard Pribyl-Kranewitter – während der Studie Doktorand am Labor für Elektrochemie des PSI – die wissenschaftliche Literatur nach Daten für die effizientesten Niedrigtemperatur-Elektrolyseur-Systeme durchforstet, die CO und HCOOH produzieren. «Wir haben die vier besten Designs für Kohlenmonoxidproduktion – inklusive einer patentierten Eigenentwicklung des PSI – sowie die zwei besten Designs für Ameisensäureproduktion ausgewählt», erklärt Pribyl-Kranewitter. Anschliessend haben die Forschenden für die jeweiligen Zellarchitekturen elektrochemische Grossanlagen zur Produktion der beiden Chemikalien virtuell konstruiert und modelliert. «Wir haben teils sehr komplexe Simulationssoftware genutzt, um die Leistung der Zellen im industriellen Massstab möglichst realitätsnah darstellen zu können.»

Bei ihren Simulationen haben die Forschenden zwei Szenarien durchgespielt: Das erste beruhte auf der aktuellen Technik und ging von 75 Tonnen CO- beziehungsweise HCOOH-Produktion pro Tag aus. Das zweite, optimistische Szenario postuliert, dass die Technik sich in den kommenden Jahren verbessert und Fortschritte bei einigen wichtigen Parametern sowie der möglichen Gesamtproduktion erreicht werden. Es simulierte 100 Tonnen pro Tag. Beide Szenarien setzten für die Anlagen jeweils eine Lebensdauer von 25 Jahren an.

Das Ergebnis der Simulationen: Ameisensäure kann in beiden Szenarien in sogenannten mikrofluiden Zellen profitabel hergestellt werden. Allerdings verursacht ihre Produktion mehr CO2 als sie verbraucht. Das liegt vornehmlich am vergleichsweise hohen Energieverbrauch: Ameisensäure fällt als Flüssigkeit in Lösung mit Wasser an und muss mit einem energieintensiven Verfahren abgeschieden werden, um sie verwenden zu können. Gleichzeitig wird für die Produktion weniger CO2 benötigt als für die gleiche Menge an Kohlenmonoxid. Der aktuelle EU-Strommix, der noch zu mehr als der Hälfte auf fossilen Energieträgern beruht, verursacht 235 Gramm CO2 pro Kilowattstunde. Als CO2-Senke dienen könnte die Ameisensäure-Produktion erst bei einem Wert unter 137 Gramm pro Kilowattstunde. Sprich: Der Anteil erneuerbarer Energien muss noch erheblich steigen, bevor die Elektrolyse von CO2 zu Ameisensäure einen positiven Klimaeffekt hat.

Kohlenmonoxid hat schon jetzt das Potenzial zur CO2-Senke

Bei der Herstellung von Kohlenmonoxid in den dafür üblichen alkalinen Zellsystemen reicht bereits ein Wert unter 346 Gramm pro Kilowattstunde, weil das Produkt als Gas anfällt und sich leicht separieren lässt. «Die Kohlenmonoxid-Produktion hat also schon jetzt das Potenzial zur CO2-Senke», sagt Projektleiter Thomas Justus Schmidt, Leiter des Forschungsbereichs Energie und Umwelt am PSI. «Und dieses wird noch grösser, je mehr der Anteil erneuerbarer Energien am Strommix steigt.» Allerdings konnte Kohlenmonoxid im Basisszenario mit keiner Zellarchitektur profitabel hergestellt werden, wobei die am PSI entwickelte Elektrolyse-Zelle hier das höchste Potenzial erzielte. Im optimistischen Szenario hingegen konnten alle vier Architekturen ein positives Ergebnis erzielen, und die des PSI sogar ein besseres als eine der Zellen zur Produktion von Ameisensäure. «Auch wenn diese Resultate bereits positiv sind, so ist das wirtschaftliche Potenzial unserer Zellarchitektur noch nicht ausgeschöpft», sagt Pribyl-Kranewitter. Zudem hoffen die Forschenden, dass die Kosten für Katalysatoren und Membranen sinken.

«Das Studienergebnis ist sehr vielversprechend», betont Schmidt. Die Kohlenmonoxid-Produktion zeigte im Schnitt eine Verbesserung um 22 Prozent im optimistischen Szenario im Vergleich zur Herstellung von Ameisensäure. Das heisst: Wenn die Technik sich noch weiterentwickelt und die Preise sich erwartungsgemäss vergünstigen, hat Kohlenmonoxid unterm Strich das grösste Potenzial für eine ökonomische und ökologische Verwendung von Kohlendioxid. «Seine Herstellung kann einen wichtigen Beitrag zur Energiewende leisten, da es sich um eine sogenannte negative Emissions-Technologie handelt», sagt Schmidt. Zumal hier der Markt viel grösser ist als bei Ameisensäure. Die weltweite CO-Produktion lag 2015 bei 210 Gigatonnen, die von HCOOH im Jahr 2019 nur bei 0,76 Megatonnen, also lediglich einem Bruchteil. «Wir sollten uns daher auf die Weiterentwicklung der CO2-Elektrolyse zur Kohlenmonoxidproduktion konzentrieren», empfiehlt Schmidt. «Und Ameisensäure als Alternative verfolgen.»


Den Artikel finden Sie unter:

https://www.psi.ch/de/media/forschung/co2-kann-zur-wertvollen-ressource-werden

Quelle: Paul Scherrer Institut PSI (11/2021)


Publikation:
Influence of low-temperature electrolyser design on economic and environmental potential of CO and HCOOH production: a techno-economic assessment
Pribyl-Kranewitter, B., Beard, A., Gîjiu, C.L., Dinculescu, D., Schmidt, T.J.
Renewable and Sustainable Energy Reviews, 03.11.2021
DOI: 10.1016/j.rser.2021.111807 https://doi.org/10.1016/j.rser.2021.111807

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