Solar Orbiter ist eine gemeinsame Mission der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) und der NASA, die bahnbrechende neue Erkenntnisse über die Sonne liefern wird. Unter anderem sollen aus so geringer Entfernung wie nie zuvor Bilder der Sonne aufgenommen werden, außerdem sollen zum ersten Mal überhaupt Aufnahmen der Sonnenpole entstehen. Aktuell liefert die Mission allerdings auch neue Erkenntnisse über unseren Nachbarplaneten Venus.
Solar Orbiter ist eine gemeinsame Mission der Europäischen
Weltraumorganisation (ESA) und der NASA, die bahnbrechende neue
Erkenntnisse über die Sonne liefern wird. Unter anderem sollen aus so
geringer Entfernung wie nie zuvor Bilder der Sonne aufgenommen werden,
außerdem sollen zum ersten Mal überhaupt Aufnahmen der Sonnenpole
entstehen. Mit an Bord sind drei an der Christian-Albrechts-Universität
zu Kiel (CAU) entwickelte und gebaute Geräte, welche die Strahlung im
Weltraum messen sollen. Ein viertes Gerät wurde unter Kieler Leitung an
der Johns Hopkins University Applied Physics Laboratory (APL)
entwickelt. Aktuell liefert die Mission allerdings auch neue
Erkenntnisse über unseren Nachbarplaneten Venus.
Im Unterschied
zur Erde besitzt die Venus kein eigenes Magnetfeld, welches sie vor der
überschallschnellen Strömung des Sonnenwindes schützt. Diese Strömung
erzeugt aber ein schwaches, induziertes Magnetfeld um die Venus herum.
Eine Analyse der Daten, die Solar Orbiter bei einem ersten Flyby-Manöver
an der Venus im letzten Dezember gesammelt hat, zeigt, dass dieses
einzigartige Magnetfeld immer noch stark genug ist, um Partikel auf
mehrere Millionen Kilometer pro Stunde zu beschleunigen. Die Analyse
wurde am 3. Mai in dem Fachjournal Astronomy & Astrophysics online
veröffentlicht. Nach Auffassung des internationalen Forschungsteams sind
die Ergebnisse eine wertvolle Hilfe bei der Untersuchung von Planeten
in anderen Sonnensystemen und unterstreichen, wie wichtig das Studium
von unterschiedlichen planetaren Magnetfeldern im Universum ist.
Die
Erde erzeugt ihr eigenes intrinsisches Magnetfeld mithilfe eines
geschmolzenen flüssigen Materials in ihrem Kern. Bei der Venus verhält
es sich anders: Sie erhält ihr Magnetfeld aus der Wechselwirkung des
Sonnenwinds mit der Ionosphäre des Planeten, also des Teils der
Atmosphäre, der elektrisch geladene Atome (Ionen) enthält. Diese Ionen
erzeugen elektrische Ströme. Wenn der Sonnenwind über die Venus
streicht, tritt er in Wechselwirkung mit diesen Strömen und erzeugt so
eine vollständige Magnetosphäre um den Planeten.
„Es ist eine
sehr ungewöhnliche induzierte Magnetosphäre“, sagt Robert Allen,
Astrophysiker am US-amerikanischen Johns Hopkins Applied Physics
Laboratory in Laurel, Maryland, der federführende Autor der Studie. Die
Wissenschaftler kannten diese ungewöhnliche Magnetosphäre zwar schon aus
den Venus-Missionen aus den 1960er bis 1980er Jahren, aber es gibt noch
viele offene Fragen. Der Sonnenwind zieht zum Beispiel die
Magnetosphäre hinter dem Planeten in die Länge; man nennt das einen
Magnetschweif. Aber wie weit kann sich eine induzierte Magnetosphäre
ausdehnen, bevor sie zerfällt?
„Dieses System ist ziemlich
instabil“, erklärt Allen, „es weht im Sonnenwind wie eine sehr
langgestreckte Flagge.“ Magnetische Felder beschleunigen geladene
Partikel wie Elektronen und Protonen. Aber kann eine induzierte
Magnetosphäre Partikel in der gleichen Weise und auf die gleichen
Geschwindigkeiten beschleunigen wie eine intrinsische Magnetosphäre?
Diese Frage soll Solar Orbiter zu beantworten helfen.
„Solar
Orbiter wird im Laufe der Mission die ekliptische Ebene der Planeten
verlassen, um auf die Polregionen der Sonne blicken zu können“, sagt
Yannis Zouganelis, stellvertretender Projektleiter an der ESA. „Aber
dazu brauchen wir die Hilfe von ausgeklügelten Flybys bei der Venus.“
Während
andere Raumsonden wie Bepi Colombo (ESA-Jaxa), Parker Solar Probe und
MESSENGER (beide NASA) knapp an der Venus vorbeifliegen, um entweder zu
beschleunigen oder abzubremsen, hat Solar Orbiter den Planeten von
hinten über den Nordpol angeflogen. So wurde die Sonde aus der
Ekliptikebene herausgeschleudert und die Pole der Sonne kamen in
Sichtweite.
„Für uns ist diese Flugbahn ein Glück. Sonst möchte
man sie eigentlich nicht haben“, sagt Allen. „Die Art, wie wir diesen
Vorbeiflug genutzt haben, hat uns in diese bisher praktisch unerforschte
Region geführt.“
Mit Solar Orbiter konnten die Forschenden
Erkenntnisse darüber gewinnen, dass sich das Magnetfeld der Venus
mindestens bis 300.000 km hinter den Planeten erstreckt. Das ist in etwa
die Entfernung zwischen Erde und Mond. Im Vergleich zum Magnetschweif
der Erde, der über weit mehr als die zehnfache Distanz reicht, ist das
relativ kurz. Außerdem fanden die Wissenschaftler heraus, dass das
Magnetfeld trotz seiner geringen Größe Partikel auch so weit vom
Planeten entfernt noch auf über acht Millionen km/h beschleunigt.
Das
Team hat mehrere Mechanismen entdeckt, die die Partikel beschleunigen.
Alle diese Mechanismen gibt es auch in Magnetosphären wie der der Erde:
Beispielsweise übertragen Turbulenzen im Magnetfeld genug Energie, um
die Partikel mit beinahe 11 Millionen km/h herausfliegen zu lassen. „Die
Tatsache, dass es in diesem relativ kleinen System der Venus doch so
viele Mechanismen gibt, die Partikel auf so hohe Geschwindigkeiten
beschleunigen können, ist für mich sehr überraschend und wirklich
interessant“, sagt Professor Robert Wimmer-Schweingruber von der Kieler
Universität und Projektleiter für Solar Orbiter an der CAU,
„insbesondere, dass diese auch räumlich und zeitlich voneinander
abgegrenzt sind.“
„Darüber hinaus ist diese Untersuchung
interessant, weil sie uns einen neuen Messpunkt in der doch sehr
beschränkten Zahl von Magnetosphären in unserem Sonnensystem gibt, der
zeigt, dass diese auch bei induzierten Magnetfeldern entstehen“, erklärt
Wimmer-Schweingruber. „Dies erlaubt uns, die gesamte Bandbreite von
Magnetosphären im Universum zu verstehen, auch solche bei Exoplaneten.
Diese Planeten, die um ferne Sterne kreisen, werden in den kommenden
Jahren mit dem James Webb Space Telescope erstmals untersucht werden
können. Da sind Referenzmessungen in unserem Sonnensystem sehr wichtig.“
Solar
Orbiter wird die Venus im August erneut passieren, gerade einmal einen
Tag, bevor BepiColombo einen Bogen um den Planeten fliegt. Das ist die
Merkur-Sonde, deren Mission von der ESA und der japanischen Aerospace
Exploration Agency geleitet wird. Beide Sonden werden auf ihrem Weg
Daten zur Venus sammeln, so dass die Wissenschaftler einen seltenen
Blick aus zwei Perspektiven erhalten, wie sich diese Phänomene im Lauf
der Zeit ändern und wie sie sich vor und hinter dem Planeten
unterscheiden. „Wir sind gespannt, was uns diese einzigartige
Konstellation von zwei Raumsonden über die Magnetosphäre der Venus
zeigen wird,“ blickt Wimmer-Schweingruber in die Zukunft.
Die für
diese Untersuchungen verwendeten Instrumente wurden an der CAU Kiel
entwickelt und gebaut. „Es ist großartig zu sehen, dass die Daten
unserer Instrumente von Wissenschaftlern an renommierten
Forschungsinstituten verwendet werden“, meint Wimmer-Schweingruber,
„dafür haben wir sie ja gebaut!“
Den Artikel finden Sie unter:
https://www.uni-kiel.de/de/detailansicht/news/125-solar-orbiter-venus
Quelle: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (06/2021)
Publikation:
Energetic ions in the Venusian system: Insights from the first Solar Orbiter flyby
R.
C. Allen, I. Cernuda, D. Pacheco, L. Berger, Z. G. Xu, J. L. Freiherr
von Forstner, J. Rodríguez-Pacheco, R. F. Wimmer-Schweingruber, G. C.
Ho, G. M. Mason, S. K. Vines, Y. Khotyaintsev, T. Horbury, M.
Maksimovic, L. Z. Hadid, et al. A&A, DOI: https://doi.org/10.1051/0004-6361/202140803
Dienstag, den 08. Juni 2021 um 06:55 Uhr