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Montag, den 20. Mai 2019 um 09:00 Uhr

Kernoberfläche beeinflusst Neutronenbindung

Präzise laserspektroskopische Messungen erlauben es, die Größe von Atomkernen auch für sehr kurzlebige Isotope zu bestimmen. Physikern der TU Darmstadt und ihren internationalen Kollegen gelang es erstmals, diese Technik über das „doppelt magische“ Zinn-Isotop 132Sn hinaus anzuwenden. Sie fanden eine abrupte Zunahme des Radius. Die Daten legen nahe, dass der Einfluss der Kernoberfläche auf die Bindung der Neutronen und Protonen größer ist als bislang angenommen. Die Zeitschrift „Physical Review Letters“ hob die Arbeit als „Editors’ Suggestion“ besonders hervor.

Kein anderes Element besitzt so viele stabile Isotope wie Zinn, weil dies ein Element mit einer „magischen“ Protonenzahl ist, das heißt, alle mit Protonen besetzten Kernschalen sind komplett gefüllt und somit abgeschlossen. Das führt zu einer besonderen Stabilität. Während die Zahl der Protonen für alle Isotope eines Elementes konstant ist – bei Zinn sind es 50 – kann die Zahl der Neutronen im Kern variieren. Wenn zusätzlich zu den Protonenschalen auch noch die Neutronenschalen voll besetzt sind, spricht man von „doppelt magischen Kernen“. Zinn ist das schwerste Element, das zwei doppelt magische Isotope besitzt: Zinn-100 (50 Neutronen) und Zinn-132 (82 Neutronen). Beide sind aber sehr kurzlebig und kommen nicht natürlich vor, weshalb sie für die Experimente an einer Beschleunigeranlage künstlich erzeugt und innerhalb ihrer Lebensdauer von nur wenigen Sekunden untersucht werden müssen.

Ein Schalenabschluss ist dadurch gekennzeichnet, dass die Bindungsenergie der äußersten Neutronen entlang einer Isotopenkette jenseits der magischen Neutronenzahl abrupt abfällt. Für den Ladungsradius des Kerns, also der Kerngröße, erwartet man den umgekehrten Fall – einen plötzlichen Anstieg. Festzustellen, ob dieser „Knick im Trend“ bei den Ladungsradien entlang der Zinn-Isotopenkette existiert, war das Ziel des Experimentes. Die internationale COLLAPS-Kollaboration, an der Physiker der TU Darmstadt und des Max-Planck-Institutes für Kernphysik in Heidelberg maßgeblich beteiligt sind, nutzte die Isotopenfabrik ISOLDE am CERN, um die kurzlebigen Kerne zu produzieren. Erstmals konnten sie dabei die Ladungsradien bis zum Isotop Zinn-134 bestimmen und damit den Verlauf der Ladungsradien am Schalenabschluss bei Zinn-132 etablieren. Oberhalb von Zinn-132 nimmt der Radius deutlich schneller zu als unterhalb – die Kurve, die diesen Trend grafisch darstellt, macht einen scharfen Knick. Dies ist ein weiteres Indiz für den doppelt magischen Charakter des Isotops. Ein ähnliches Verhalten wurde früher auch schon für das ebenfalls doppelt magische Isotop Blei-208 beobachtet. Der Mechanismus, der für den „Knick“ in den Radien verantwortlich ist, ist jedoch ein anderer als für den ähnlichen Trend bei den Bindungsenergien. Darum liefern die neuen Messungen der Radien wichtige Information über die Kernstruktur.

Beteiligten theoretischen Kernphysikern von der Universität Erlangen-Nürnberg und der Michigan State University gelang es, die treibende Kraft hinter der sprunghaften Zunahme der Radien nach Zinn-132 zu identifizieren: eine verstärkte Bindung von Neutronenpaaren an der Kernoberfläche. Dies ist eine neue Ausprägung des gleichen Effektes, durch den auch schon die Isotopenketten von Calcium, Eisen und Cadmium erfolgreich beschrieben werden konnten. Erst die neuen Informationen aus Präzisionsmessungen von Radien instabiler Isotope erlauben es aber, diesen Effekt als Beitrag zur Kernmodellierung eindeutig und quantitativ zu bestimmen. Herkömmliche Kernmodelle, bei deren Entwicklung man die Radien kurzlebiger Isotope noch nicht zur Verfügung hatte, unterschätzen den Oberflächenbeitrag zur Paarbindung und haben in der Regel Schwierigkeiten, den Knick im Trend der Radien an Schalenabschlüssen konsistent zu beschreiben.


Den Artikel finden Sie unter:

https://www.tu-darmstadt.de/universitaet/aktuelles_meldungen/einzelansicht_229888.de.jsp

Quelle: Technische Universität Darmstadt (05/2019)

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